Gerade sitze ich in unserer Bambushütte. Es regnet und aus der Nachbarschaft klingen die Musik und die Gebete aus einem Hindu-Tempel herüber. Eine gute Gelegenheit, vom gestrigen Tag zu berichten.

Unser erster Tag in Bodhgaya hat uns gleich alles abverlangt. Zirka zwanzig Kinder aus verschiedenen Schulen aus Bodhgaya und Umgebung waren da, um das Stück für die neue Show zu entwickeln und schon einzelne Szenen zu proben.

Vor dem Frühstück wurde sich erst einmal mit viel Bewegung und Yoga aufgewärmt.

Das dauerte fast zwei Stunden. Währenddessen sorgten die Kühe im Sachi Home für frische Milch, die wir für unseren Chai brauchen.

Nach dem morgendlichen Warm-up war der Hunger natürlich groß. Eine Straßenküche brachte uns das Frühstück vorbei: Litti und Chokha. Litti sind kleine leckere Teigbällchen mit einer Kichererbsenfüllung. Chokha ist gekochtes Gemüse mit Kartoffeln und einem hohen Anteil an Kichererbsen. Dazu gibt es etwas Rettich und Chilis. Alles wurde auf Tellern aus getrockneten Bananenblättern serviert und mit den Fingern gegessen. Natürlich war das Essen ordentlich scharf. So scharf, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Aber die Kinder haben das ohne mit der Wimper zu zucken gegessen.

Nach dem Frühstück standen die ersten Spielübungen auf dem Programm. Dabei ging es vor allem darum, verschiedene Emotionen mit einem Partner zu spielen. Dabei bekommt man eine Emotion vorgegeben und geht bei passender Musik aufeinander zu. Der Partner spiegelt dabei die eigenen Emotionen. Hier ist unser Tanzlehrer (Abishek) dabei, Liebe zu spielen.

Für die neue Show gibt es von der Leitung des Projekts schon einen groben Plan, aber noch kein fertiges Stück. Deshalb beschlossen wir, die Kinder in Gruppen aufzuteilen und Ideen sammeln zu lassen. Jede Gruppe sollte dann ihre eigenen Ideen spielerisch umsetzen.

Daraus entstanden ist ein Feuerwerk der Kreativität und des Humors. Aber auch ganz ernste Darbietungen, die das Leben der Kinder in der Familie auf dem Land thematisiert haben, waren zu sehen.

Die Kinder haben an diesem Tag wirklich alles gegeben. Es ist kaum zu glauben, dass sie erst seit wenigen Tagen Theater spielen.

Den Abschluss des Workshops bildete ein Bühnenaufgang. Das Thema war „Die Frage Deines Lebens“. Dabei spricht jeder laut die Frage aus, die ihn am meisten beschäftigt und stellt sich mit einer passenden Pose auf die Bühne. Zum Schluss stehen alle Schauspieler als ein Bild auf der Bühne.

Am Ende des Tages waren ganz viele strahlende Gesichter zu sehen. Das ist genau das, was die Arbeit hier so einmalig macht: Man bekommt von den Kindern ganz viel zurück.

Nach getaner Arbeit gehen wir fast täglich in den Mahabodhi-Tempel zum meditieren. Dies gibt uns wieder die Ruhe und die Kraft, die wir für die meist sehr anstrengenden Tage brauchen. Außerdem ist dies ein ganz besonderer Ort. Der Überlieferung nach ist dort der Buddha unter einem Baum erleuchtet worden. Dieser Baum steht in der dritten oder vierten Generation noch immer und ist einer der beliebtesten Meditationsplätze im Tempel. Natürlich zieht dies Tausende von buddhistischen Pilgern nach Bodhgaya.

Der Mahabodhi-Tempel selbst beeindruckt mich immer wieder aufs neue. Es ist nicht nur die wundervolle Tempelanlage, sondern die friedliche und liebevolle Stimmung, die dort herrscht. Sicher ist es durch die vielen Pilger, die aus aller Welt dort sind, auch mal sehr voll. Aber die religiösen Gesänge und die Pilger selbst verbreiten eine wundervolle Stimmung. Egal ob man gläubiger Buddhist ist oder nicht, diese Stimmung schlägt sofort auf einen selbst über.

Die Kehrseite Indiens sieht man um den Tempel herum. Viele Bettler werden von den Besuchern des Tempels angezogen, in der Hoffnung auf etwas Geld oder etwas zu essen. Ein großer Teil der Bettler sind die so genannten weißen Witwen, aber auch viele Frauen, die mit ihren kleinen Kindern auf der Straße leben. Das Schicksal der weißen Witwen finde ich besonders tragisch. Dies sind Frauen, deren Männer gestorben sind und die deshalb aus ihrer Gemeinschaft ausgestoßen wurden. Dabei ergeht es diesen Frauen heute noch ein „besser“ als noch vor fünfzig Jahren. Damals wurden diese Frauen bei der Feuerbestattung ihres Mannes mit verbrannt. Grausam!

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